Graduiertenkolleg "Family Matters"
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Boris Walkiw

Boris Walkiw

Doktorand

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Büroadresse: Schellingstraße 33 80799 München
Postadresse: LMU, Schellingstr. 3, Departement I Germanistik, GraKo Family Matters, 80799 München

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Telefon: +49 (0)89 2180-2103

Boris Walkiw hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie an der LMU München studiert.

Dissertationsthema: „Fixierungen an die alte Familiengeschichte“: Freuds Konstruktionen zwischen Determinismus, Hermeneutik und Antihermeneutik

„Heads I win, Tails you lose.“ Geht es nach dem Witz, den Sigmund Freud in einer späten, 1937 veröffentlichten
Schrift zur Diskussion aufgreift, verdankt die Psychoanalyse ihre Erfolge einer einfachen Regel: dem
Ausschluss von Misserfolgen. Sofern ihre Erklärungsmuster bereits im Vorfeld abstecken, was in der
analytischen Situation Gehör finden könne, sei von ihren Deutungen nichts anderes als die Bestätigung der
Regel zu erwarten. Unabhängig von der Zustimmung oder dem Widerspruch der Patient:innen, sollen die
Erzählungen, die sie produziert, schematisch entlang der immergleichen Plotstrukturen verlaufen. Die hier
infrage stehenden ‚Konstruktionen in der Analyse‘ — in den Krankengeschichten ebenso wie in der
Kulturtheorie — bilden als narrative Textgattung begriffen den Gegenstand meines Promotionsprojekts.
Angesiedelt im Grenzbereich zwischen Historiographie und Fiktion, markiert der Begriff der Konstruktion
denjenigen Ort der psychoanalytischen Theorie und Behandlungstechnik, an dem die Narration zur Methode
wird. Mit dem Anspruch, Geschichten der Verdrängung zu erzählen und damit Kohärenz an die Stelle erlebter
Inkohärenz zu setzen, sollten Freuds Konstruktionen seit den 1890er Jahren zunächst die lebensgeschichtliche
Verursachung der neurotischen Symptome seiner Patient:innen nachzeichnen. Insbesondere im Zuge der 1910er
Jahre wandten sie sich zusehends jener ‚psychischen Realität‘ zu, deren Kernkomplexe sich um Freuds eigenen
Mythos versammelten — die ‚alte Familiengeschichte‘ des Vatermords in der Urhorde, wie sie erstmals in
Totem und Tabu (1912–13) ausgeführt wurde.
Wie sich durch eine Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Konstruktionen zeigen lässt, setzte der
Mythos der ‚alten Familiengeschichte‘ dabei zugleich einen Konflikt innerhalb der Theorie in Szene: Freuds
unausgesetztes Schwanken darin, welcher Stellenwert (lebens-)geschichtlichen Ereignissen, allgemeinen
Strukturen und asymmetrischen Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern jeweils in der Genese des
infantilen Unbewussten zuzumessen sei, schlug sich in einer Konkurrenz methodischer Zugänge und damit auch
verschiedener Erzählweisen nieder. Die tentativ in Anlehnung an Arbeiten Jean Laplanches unterschiedenen
Tendenzen — Determinismus, Hermeneutik und Antihermeneutik — sollen daher als Ausgangspunkt einer
narratologischen Untersuchung dienen, die in der Form der Erzählungen die Probleme der Theorie ausgehandelt
sieht.
Wenn die Konzepte der Freudschen Metapsychologie in den Konstruktionen nicht einfach abgebildet, sondern
narrativ entworfen, erprobt und gegeneinander ausgespielt werden, so stellt sich damit die Frage nach dem
spezifisch erzählerischen Charakter des analytischen Verstehens. Anhand der unterschiedlichen Interpretationsund Erzählstrategien, sowie ihrer Rezeption in der Nachfolge Freuds, sollen deshalb nicht nur die
konkurrierenden Implikationen der ‚Fixierungen an die alte Familiengeschichte‘ in einer vergleichenden Lektüre
gegenübergestellt werden, sondern ausgehend von den familialen Mythen, die sowohl in der Theorie wie im
Gegenstand der Analysen entscheidende Knotenpunkte bilden, sollen die Modi der Aneignung von Geschichte
und Struktur in ihren Erzählungen untersucht werden.