Kontakt
Ludwig-Maximilians-Universität München
Department I Germanistik
GraKo Family Matters
80799 München
Büroadresse:
Schellingstraße 33
80799 München
Raum:
1015
E-Mail:
Kienzl.Simon@lmu.de
Simon Kienzl wurde in Bozen in Italien geboren und studiert seit 2016 Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und im Nebenfach Philosophie in München. Im Zuge seines Bachelorstudiums verbrachte er ein Auslandssemester an der Università di Pisa. Nach Abgabe seiner Masterarbeit unter dem Titel „Io non ci sto!“ Widerständiges Schreiben in Elena Ferrantes Neapel-Zyklus an der LMU arbeitete er als freier Mitarbeiter für verschiedene Zeitungen, bis er im April 2024 als Mitglied des Family-Matter-Graduiertenkollegs aufgenommen wurde. Die Frage, die ihn schon in seiner Masterarbeit umtreibt, ist die nach den widerständigen Potentialen von Literatur: Was kann Literatur zwischen den Extremen komplexer und in sich widerständiger Texte und konsumierbarer und millionenfach gelesenen Romanen wie Elena Ferrantes Neapel-Zyklus leisten?
Dissertationsvorhaben: Teorema und affabulazione: Familien-Geschichte(n) zwischen Benjamin, Pasolini, Ferrante und Morante
Walter Benjamin, „der Lumpensammler“ und Pier Paolo Pasolini, der „Freibeuter“ machten sich Zeit ihres Lebens und Schreibens auf die Suche nach dem Übersehenen und A-Familiären einer Fortschrittsgeschichte, die immer nur das gleiche wiederholt, in einem ewigen „Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen.“ (GS I.II 696.) Gegen einen solchen „Siegeszug der Herrschenden“, der nichts hinterlässt als Monumente der Sieger, versucht Benjamin und mit ihm – so die zentrale erste Annahme der Arbeit – Pasolini auf das übersehene Ver- und Übergangene, das am Boden liegt, zu blicken und eben hier Momente eines befreienden Potentials in der kapitalistischen Gegenwart zu erkennen. Die diesem Dissertationsprojekt vorausgehende Fragestellung lautet: Wie kann unter der Prämisse eines solchen Siegeszuges des herrschenden Oben über ein Unten Geschichte anders als in der vorherrschenden Tradition gedacht und gerade in Familien-Geschichte(n) Widerstand gegen eine solche tradierte und perpetuierte Ordnung geleistet werden?
Unter der Grundannahme einer immer schon gegebenen Verflechtung von Theorie (Teorema) und Fiktion (Affabulazione) im Schreiben von Familien-Geschichte soll diese Fragestellung an der porösen Schnittstelle zwischen Philosophie und Literatur beleuchtet werden: Inwiefern können (populäre) literarische Familien-Geschichten – anknüpfend an das philosophische Familien-Geschichtsdenken bei Walter Benjamin und Pier Paolo Pasolini – an diesem Prozess teilhaben und ihn überschreiten? Inwiefern können die millionenfach gelesenen, von der Literaturwissenschaft aber immer wieder übersehenen Werke von Autor*innen wie Elena Ferrante und Elsa Morante ihrerseits unerlöste, übergangene Potenziale in Benjamins und Pasolinis Schreiben aufzeigen und aktualisieren? Hierzu sollen Erzählungen wie Morantes La Storia und Ferrantes L’amica geniale – Familiengeschichten, die immer auch Geschichte mit- und umschreiben – beleuchtet und den abgebrochenen sowie aufgenommenen Fäden zum fortschrittskritischen, antigenealogischen und a-familiären Denken Benjamins und Pasolinis in ihnen nachgegangen werden.
Ziel des Vorhabens ist es also zunächst die von Benjamin und Pasolini freigelegte und zerlegte herrschende Logik des A-Familiären herauszuarbeiten. Dadurch sollen – als Desiderat der Arbeit – Möglichkeitsräume ausgemacht werden, diese Logik in der Literatur nicht nur nicht fortzuschreiben, sondern mit Literatur gegen sie anzukämpfen und mit Familien-Geschichten gegen diesen von Benjamin beobachteten Triumphzug der Geschichte anzuschreiben.